Wohnmobil-Boom und volle Campingplätze zeigen: Der einstige Notfallplan bleibt bis heute fester Teil des deutschen Life- und Reise-Styles.
Was als pandemietaugliche Alternative zum klassischen Reisen begann, hat sich längst zum festen Trend entwickelt: das sogenannte Vanlife. Der minimalistische Lebens- und Reisestil im Camper oder Wohnwagen erlebte während der Pandemie einen regelrechten Boom. Er bot eine vergleichsweise günstige und kontaktarme Möglichkeit, die Welt zu entdecken – besonders in einer Zeit, in der viele Deutsche dank Homeoffice zusätzlich ortsunabhängig arbeiten konnten.
Tabea von Petersdorff ist eine von ihnen. Sie hat drei Jahre auf vier Rädern gelebt und alleine mit ihrem umgebauten Kleinbus Europa bereist. Unterwegs arbeitete sie als Tätowiererin und ist außerdem ihrem Remote-Job nachgegangen. Das Abtauchen aus der Gesellschaft gefällt ihr am meisten am Vanlife, sast sie: „Über Tage oder Wochen weiß niemand, wo ich bin. Und wenn ich an einen neuen Ort komme, weiß auch niemand, wer ich bin. Darin steckt für mich Entspannung.”
Um herauszufinden, wie sehr sich das flexible Vanlife nach der Pandemie etabliert hat, haben der Fahrzeugteile-Händler Motointegrator und das Datenstudio DataPulse Research die Fahrzeugzulassungen und Camping-Aktivitäten in ganz Europa analysiert.
Kleiner Exkurs: Die #Vanlife-Vision
Das Phänomen Vanlife ist ursprünglich nicht erst mit der Pandemie entstanden. Der Hashtag #vanlife tauchte erstmals in den frühen 2010er-Jahren auf, als der Amerikaner Foster Huntington seinen Job in New York kündigte, um fortan auf vier Rädern zu leben. Auf seiner Reise traf er viele Gleichgesinnte, die bereits im Van unterwegs waren und damit eine Subkultur am Leben hielten, deren Wurzeln bis in die Hippie-Bewegung der 1960er-Jahre zurückreichen.
Huntington dokumentierte seinen neuen Lebensstil auf Social Media, stets begleitet vom Hashtag #vanlife. Schon bald entwickelte sich daraus ein Trend unter einer neuen Generation junger, freiheitsliebender Menschen, die seinem Beispiel folgten. Dass dieser Trend nicht nur eine Nischenerscheinung geblieben ist, sondern eine breite öffentliche und mediale Aufmerksamkeit erlangt hat, zeigt die Entwicklung der weltweiten Berichterstattung zum Thema „Vanlife". Die Anzahl der Artikel ist seit 2020 kontinuierlich gestiegen, was das anhaltende und wachsende Interesse an diesem Lebens- und Reisestil unterstreicht.
Deutschland ist Camping-Land
Als die Pandemie begann und viele Menschen plötzlich nicht mehr an einen festen Arbeitsplatz gebunden waren, nutzten sie die Gelegenheit für eigene Abenteuer auf der Straße. In ganz Europa stieg die Zahl der Freizeitfahrzeuge deutlich an. Deutschland verzeichnete 2020 und 2021 die meisten Neuzulassungen von Freizeitfahrzeugen (Wohnmobile, Campervans, Reisebusse, Caravans und Ähnliches) pro Kopf – ein Hinweis auf den Boom, den Camping und #vanlife erlebten.
In fast allen europäischen Ländern war nach dem Ende der Pandemie 2022 ein Rückgang bei den Zulassungen zu beobachten, doch hierzulande hat sich der Trend 2024 umgekehrt, die Zahlen lagen leicht über dem Vorjahr. Deutschland ist mit rund 12 Neuzulassungen pro 10.000 Einwohner Spitzenreiter bei den Pro-Kopf-Zulassungen in Europa.
Überall zuhause sein statt fester Standplatz
Die Dynamik dieses Booms unterscheidet sich jedoch deutlich zwischen den Fahrzeugtypen. Während Wohnmobile einen regelrechten Höhenflug erlebten und auch 2024 weit über dem Vorkrisenniveau lagen, zeigten traditionelle Wohnwagen eine verhaltenere und zuletzt sogar rückläufige Entwicklung. Ein Indikator dafür, dass Neu-Camper eher die Möglichkeit reizt, mit einem mobilen Zuhause überall unterwegs sein zu können, als “klassisch” mit einem Wohnwagen an einem Ort zu campen.
Hoch im Norden und tief im Süden
Die Beliebtheit von Wohnmobilen zeigt sich nicht überall in Deutschland gleich, es gibt große regionale Unterschiede. Der Anteil der Wohnmobile an den gesamten Pkw-Neuzulassungen ist in den nördlichsten und südlichsten Zulassungsbezirken besonders hoch.
Auch im Vergleich der 15 größten deutschen Städte zeigt sich die Liebe der Norddeutschen zum Wohnmobil: Hamburg, Bremen und Hannover verfügen über den höchsten relativen Bestand.
Die offiziellen Zulassungszahlen geben nur einen Teil des gesamten Trends wieder. Die Vanlife-Bewegung ist breiter gefasst als das, was die offiziellen Statistiken über registrierte Wohnmobile, Wohnwagen und die Nutzung etablierter Camping-Infrastruktur abbilden. Denn viele „Vanlifer” setzen auf individuelle Umbauten und kleinere Fahrzeuge wie Kastenwagen, die in den Zahlen nicht auftauchen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Suchbegriffe „Wohnmobil” und „Camper”. „Wohnmobil” weist traditionell das höhere Suchvolumen auf, das Interesse ist seit 2020 allerdings leicht gesunken. Der Begriff „Camper”, der oft mit flexibleren und individuelleren Fahrzeugkonzepten des Vanlife assoziiert wird, zeigt eine deutlich dynamischere Zunahme des Interesses. Diese früheren Liefer- oder Nutzfahrzeuge lassen sich individuell ausbauen, sind leichter zu fahren und zu parken als große Wohnmobile, bieten aber deutlich mehr Komfort als ein Zelt.
Ob Mieten, Kaufen oder tatsächlich individuell ausbauen – das entsprechende Interesse zeigt sich in den Google-Suchanfragen. Diese steigen seit 2010, mit deutlicher Beschleunigung ab 2020:
Wachsende Nachfrage, neue Herausforderungen
Camping ist in Deutschland relativ stark reguliert, verglichen mit anderen europäischen Ländern. Norwegen, Schweden und Finnland zählen zu den liberaleren Regionen: Dort ist das Übernachten am Straßenrand unter bestimmten Bedingungen erlaubt. In Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Spanien wird freies Parken in einigen Gegenden geduldet, in der Schweiz, Österreich, Slowenien oder den Niederlanden drohen teils sogar Bußgelder.
Die Betreiber von Campingplätzen profitieren in Deutschland von der steigenden Nachfrage nach Camping-Infrastruktur. Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) ist die Zahl der Campingplätze in Deutschland in den letzten zehn Jahren um 13 % gestiegen, trotz pandemiebedingter Schließungen in den Jahren 2020 und 2021. Auch die Anzahl einzelner Stellplätze innerhalb dieser Anlagen hat insgesamt um 10 % zugenommen, allein in den letzten zwei Jahren um 5 %.
Im vergangenen Jahr verzeichnete Deutschland 13.546.395 registrierte Campinggäste. Der Großteil davon (rund 87 %) stammte aus dem Inland. Die große Nachfrage sorgt in beliebten Küstenregionen und Süddeutschland für großen Druck auf die Campingplätze:
Die Zukunft des Vanlife
Die Daten zeigen: Die Deutschen lieben Camping und gerade neue Formen des Mobil-Zuhause-Seins werden immer beliebter. Insbesondere das Vanlife ist nicht nur eine Art zu reisen, es ist eine Art zu leben und Gemeinschaft aufzubauen. Überall in Europa sind Camper-Van-Festivals entstanden, wie das „Van Life Ferropolis” Festival auf einer postindustriellen Insel mitten im Gremminer See, zwischen Berlin und Leipzig. Dort reihen sich Wohnwagen und individualisierte Wohnmobile für ein langes Wochenende mit Musik, Essen und Vanlife-Workshops aneinander.
Auch Tabea freut sich schon auf ihren nächsten Trip. „Am glücklichsten bin ich, wenn ich kurz vor Start der Abenddämmerung, also zu Feierabendbier-o‘clock im herrlichen Licht der müde werdenden Sonne mein Plätzchen für die Nacht finde”, sagt sie. „Parken, ein kaltes Bier öffnen und mit dem Kochen an der offenen Heckklappe beginnen – barfuß auf Piniennadeln, versteht sich. Das schlichte Leben in und mit der Natur, so unkompliziert und ohne große Gadgets, tut meiner sonst schnell überreizten Seele gut.”
Ob Vanlife von Dauer ist, hängt weniger von den Fahrzeugen ab, als von der Einstellung. Solange die Menschen Autonomie, Erschwinglichkeit und eine tiefere Verbindung zu den Orten suchen, die sie durchqueren, wird die Anziehungskraft des Lebens unterwegs nicht verschwinden.
Methodik
Die Pro-Kopf-Registrierungen von Freizeitfahrzeugen in Europa basieren auf den Registrierungsdaten von Freizeitfahrzeugen (Wohnwagen und Wohnmobile) der European Caravan Federation, dividiert durch die Bevölkerung jedes Landes in jedem Jahr. Die Bevölkerungszahlen stammen von Eurostat und den Datenportalen der Vereinten Nationen.
Das Wachstum der touristischen Campingplätze in Deutschland ist die kumulierte prozentuale Veränderung bei den Betrieben und „Betten“, wobei ein Stellplatz vier Schlafplätzen entspricht.
Die europäische Karte zum Sommercamping ist ein berechnetes Verhältnis der Anzahl der „Campingnächte“ zu „allen touristischen Nächten“ in jedem Land von Mai bis September 2024.