
Zwischen 2001 und 2016 entstand in der Gläsernen Manufaktur in Dresden ein Auto, was aussah wie ein Passat, teurer war als ein Einfamilienhaus und zu den aktuell interessantesten Youngtimern gehört!
Der 11. Dezember 2001 war ein großer Tag für die Volkswagen Sachsen GmbH. Die Produktion für eine eigenständige Oberklasse lief an. Ein gewaltiger Schritt für den Konzern, ein Hoffnungsträger für die Region und ein Prestigeobjekt, wie es kontroverser nicht hätte diskutiert werden können. Die über 5 Meter lange Stufenhecklimousine trug den einprägsamen Namen des Sohnes von Sonnengott Helios, ist also ein Neffe des Eos, aber das ist eine andere Geschichte. Mit permanentem Allradantrieb 4Motion und dem Luftfahrwerk Airmotion startete der Phaeton aufsehenerregend in das, was man wirtschaftlich wohl einen Flop nennt.

Wir tauchen heute gar nicht so tief in die Geschichte des großen Volkswagens ein, wir wollen ihn eigentlich nur mal fahren und gucken, was kaputtgehen kann und wie es mit den Ersatzteilen aussieht. Wenn man allerdings ein paar Stammtischfakten aus der Historie von Helios‘ Sohn betrachtet, dann schmeckt der Oberklasse-Braten gleich viel besser. Vor über 100 Jahren war ein „Phaeton“ noch eine herrschaftliche Pferdekutsche – im neuen Jahrtausend sollte das neue Automobil unter VW Chef Piëch ähnlich herrschaftlich werden!

Wenn man über diesen Volks-Wagen spricht, muss man einen Absatz seinem geistigen Vater widmen. Ferdinand Piëch, Enkel von Ferdinand Porsche (ja, DEM Porsche), war von 1993 bis 2002 Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG und danach bis 2015 Aufsichtsratsvorsitzender. In dieser Zeit übernahm die AG Lamborghini und Bugatti, kaufte Rolls Royce und Bentley und schob Audi in die Oberklasse. Da lag es nahe, konzernintern ebenfalls ein Auto zu entwickeln, das besser als alle anderen ist. Oberklasse. Man wollte zeigen, dass auch VOLKSwagen zu den Sternen greifen kann. Metaphorisch.

Piëch hasste zu große Spaltmaße. Sein Perfektionismus ging so weit, dass die neue, sehr dem Passat ähnelnde Linie die damals höchste je erreichte Torsionssteifigkeit einer PKW Karosserie ever hatte. Die Klimaanlage musste absolut zugfrei sein, Piëch hasste spürbare Luft auf seiner Haut. Und der neue Wagen sollte bei einer Geschwindigkeit von 186 km/h eine Innentemperatur von +22°C halten, auch wenn die Außentemperatur +55°C beträgt. Fragen Sie nicht. Was hier in den Lastenheften der Ingenieure stand, war fast nicht zu schaffen. Aber eben nur fast.

Den allerersten V6 Benziner mit Vorderradantrieb lassen wir mal weg. Den gab es schon bald nicht mehr. Den Benchmark der kultivierten Fahrerei setzten fortan ein 3.0 V6 Common-Rail TDI, ein 4.2 V8, ein 5.0 V10 TDI und ein 6.0 W12. Die beiden letztgenannten waren einigermaßen unfassbare Maschinen, die entweder bei beherztem Vollgas mit ihrem Drehmoment die ZF Automatik pulverisierten oder den Zündkerzenwechsel zur Tagesaufgabe machten. Wen schert’s? Die Neupreise lagen zwischen 70.000 und 110.000 Euro, gehobene Ausstattungen gingen bis 130.000 Euro. Da war die Wartung das kleinste Problem.

Das größte Problem war eher die Konkurrenz im eigenen Haus, der Audi A8. Und die Tatsache, dass die solvente Kundschaft gern zeigen wollte, dass man Oberklasse fuhr. Das VW Logo kam da einfach nicht an, Technik und Luxus hin oder her. Nach 84.235 Fahrzeugen war 2016 Schluss. Man munkelt, dass VW bei den weitestgehend handgefertigten Limousinen pro Stück knapp 30.000€ zugezahlt hat.

Was an diesem Kraftfahrzeug heute vor allem begeistert ist sein Wertverlust von rund 50 Cent pro Minute, nach Neukauf. Das durch und durch überkonstruierte Flaggschiff des Konzerns wurde noch einige Jahre durch Werksrückkäufe künstlich teuer gehalten, heute bekommt man gepflegte Exemplare im fünfstelligen Bereich. Dank der gefühlten Einzelfertigung und der unbegrenzten Individualisierung bekommt jeder, was er oder sie wünscht. Soll es ein Individual mit dezent gefärbtem Leder und abgesetzten Kedern sein? Eine Vollausstattung mit elektrischem Heckrollo, Keyless Entry, Soft Close Türen und beheizten oder klimatisierten Massagesitzen – auch hinten? Alles geht, nichts muss.

Jeder Phaeton Kabelbaum ist einzigartig, aber unter der Haube kocht der Kahn auch nur mit Wasser. Die Türen und Deckel sind aus Aluminium und werfen korrosive Blasen hier und da, die aber nur optisch stören. Nimmt man die Kotflügel aus Kunststoff und die inneren Radkästen ab, findet man gern angerostete Servoleitungen. Wer die Abläufe des Schiebedachs oder die im Wasserkasten unter dem Scheibenwischergestänge nicht hin und wieder durchbläst, bekommt einen Wasserschaden im Fußraum. Schade, dass da das Steuergerät für die Schließanlage und die Motorsteuerung sitzen. Wenn die absaufen, wird es funky.

Motorlager und Drallklappen beim TDI sind nach 250.000 Kilometern mal dran, das kennen andere Heizölverbrenner aber auch. Dafür lässt sich der Selbstzünder aber auf Langstrecke auch mit 8 Litern Diesel bewegen. Das Luftfahrwerk kostet pro Federbein rund 500€, also nicht mehr als die Dämpferproblematiken bei den Oberklassen der Konkurrenz. Mal zickt der Kabelbaum der Heckklappe, mal werden die Streuscheiben der Scheinwerfer blind, mal kapitulieren die Querlenker vor dem Gewicht von rund 2 Tonnen. Das alles kann doch einen Seemann nicht erschüttern! Immerhin fahren wir hier sowas wie einen Bentley. Oder einen Touareg. Oder einen Panamera. Alles die gleiche Plattform 😊

Ein VW Phaeton ist die vielleicht angenehmste Art der Fortbewegung, die sich in diesem Preissegment realisieren lässt. Selbst bei 160 Sachen fährt das allradgetriebene Ding schnurgeradeaus, die doppelten Scheiben halten alle Geräusche draußen (leider auch Handysignale und die der Satelliten…), der ledrig duftende Sitz wärmt und massiert leicht den unteren Rücken und das dänische Dynaudio Soundsystem umschwärmt einen mit sattem Sound aus 12 Lautsprechern. Es ist alles noch haptisch, mit echten Knöpfen, die meisten von ihnen tragen einen kleinen Chromrahmen. Um die mittige analoge Zeituhr schwenken die hölzernen Lüftungsklappen auf, wenn es extrem wird. Allein das ist ein Schauspiel, an dem man sich niemals satt sieht.

Für jemanden, der nicht wenigstens ein bisschen selbst schrauben kann, ist der VW Phaeton eine unberechenbare Was-Passiert-Dann-Maschine. Trotz damaliger Topqualität gibt es eine knapp dreistellige Zahl an Steuergeräten, die auf dem CAN Bus rumköchelt. Ein komplettes gebrauchtes Getriebe gibt es für 800€, sein Einbau dauert aber einen ganzen Tag. Die Steuerketten am V6 Diesel sitzen hinten am Motor, also zur Spritzwand. Man munkelt, offiziell kostet der Tausch mehr als ein kompletter Gebrauchtwagen. Also Augen auf beim Phaeton Kauf. Dieser Wagen ist der Wahnsinn. Auf allen Ebenen. Und jetzt CD Nummer drei, Track 5. Und dann geht’s der Sonne entgegen, zu Papa.
Autor: Jens Tanz – Sandmann