Mit dem Chrysler 300C SRT8 stand nach Jahrzehnten des Downsizing wieder eine große, schnelle und preiswerte Limousine bei den Händlern – vielleicht die allerletzte ihrer Art. Wir sind eingestiegen und haben ein paar Vorurteile beseitigt.
Als die Ära der Muscle Cars in den USA zu Ende ging, glaubte niemand mehr an lange, komfortable und kraftvolle Sedans mit viel Platz zum kleinen Preis. Das Zepter der Stufenhecklimousinen gab man nach Deutschland und Japan ab. In Germany baute man sie weiter, diese Riesen mit Kofferraumdeckel. Man machte sie luxuriös, entwickelte sie zu technischer Perfektion und rief dann Preise von Einfamilienhäusern auf. Im „Land des Lächelns“ schliff man wiederum die Gleiter ungefähr so steril wie einen Gefrierbeutel. Und dann kam Chrysler.
Ein V8 wie eine Drehorgel
Die Ingenieure schielten auf AMG und BMWs M-Division, nahmen sich ein Auto aus der regulären Produktionsreihe und packten noch ordentlich was drauf. „Street and Racing Technology“ Direktor Dan Knott ließ den 5,7 Liter Standard Hemi auf 6,1 Liter aufbohren und höher verdichten. Der Block bekam eine einzige, zentrale Nockenwelle für die 16 Ventile aus Leichtmetall. Halb so viele Ventile wie bei den anderen, dafür doppelt so viele Zündkerzen. Die verstärkte Kurbelwelle war gut für 6.400 Umdrehungen pro Minute, was für einen V8 sagenhaft ist. Und das war’s. Auch das Kupplungspedal entfiel. Die von SRT überarbeitete 5-Gang-Automatik tat ihren Dienst gewissenhaft und war bei Vollgas-Schaltvorgängen im roten Drehzahlbereich immer gut für ein wenig Sound hinten raus.
Wir steigen über die blau beleuchteten Einstiegsleisten ein. Die Memory-Funktion lässt den Sitz, das Lenkrad und die Pedale in die gespeicherte Position sirren. Der Motor startet. Man meint, eine leicht nachdenkliche Sekunde der miteinander kommunizierenden Steuergeräte zu spüren, bevor alle Zeiger in den Armaturen hochflippen. Was da jetzt ungeduldig im Standgas läuft klingt nach einer echten amerikanischer Legende. Wir legen die Fahrstufe ein und drücken den Knopf im Armaturenbrett, der die Stabilitätsprogramme ausschaltet. Das lässt einem viel mehr Freiheit für diese fast kindlich fröhlichen Momente, bevor die Steuergeräte letztendlich doch genervt eingreifen und einen Exodus verhindern. Das Leben kann so einfach sein.
Ein echtes Muscle Car
Dieser ein bisschen nach Bentley aussehende Daimler-Chrysler kommt aus den Staaten, da soll der Anglizismus mal erlaubt sein. Ein echtes Muskel Auto – das klingt ja auch ein bisschen blöd. Der Chrysler 300C SRT8 war der „Über-Sedan“. Was ihn über all seine Konkurrenten erhaben machte war sein Preis. Für gut 50.000 Euro stand er auf dem Europäischen Kontinent als voll ausgestatteter Neuwagen da wie ein 2-Tonnen-Fels in der Brandung, beschleunigte mit seinem Drehmoment von 569 NM vergleichbar der Limousinen von AMG und M und regelte die Endgeschwindigkeit erst bei 265 km/h ab. Im Land der Speed-Limits waren das nur akademische Werte. Und was der gewaltige Wagen ebenfalls gut konnte: stehen bleiben. Verzögern. Hinter den Felgen arbeiten serviertellergroße Brembo-Scheibenbremsen mit Durchmessern von 360mm und 350mm und vier Kolben pro Bremssattel. Die packen gnadenlos zu und kaschieren analog zum dicken Motor, mit was für einem wuchtigen Ziegel man es hier eigentlich zu tun hat.
Mehr Kraft als man vermutet
Als wir uns an das erstaunlich bequeme Gestühl gewöhnt haben, fallen die Niederquerschnittsreifen auf den riesigen Felgen auf, die gern direkte Geschichten über die Straße unter ihnen erzählen. Hier halten 22 Zöller (255/35) den Kontakt zum Boden. Kickdown – die über 5 Meter lange Limousine dreht aus dem gullernden Innenstadt-Ruhemodus mit einem mechanischen Brüllen hoch in die nächste Runde. Dieses Auto kann einfach in allen Bereichen mehr, als man seinem Hafencontainer-Design zutraut.
Die Amis haben den Chrysler 300 SRT8 damals den „Mercedes E55 AMG des armen Mannes“ genannt, oder die „Viertürige Viper“. Tatsächlich vereinte der Chrysler die positiven Eigenschaften der genannten Autos, war aber entsprechend preiswerter. Chrysler hat damals tatsächlich nach 30 Jahren wieder ein viertüriges Muscle Car gebaut. Oder wie würdet ihr eine 5 Meter lange und über 2 Tonnen schwere Standard Limousine nennen, die in 5,4 Sekunden auf 100 beschleunigt und bei 265 km/h nur deshalb nicht weiter voran marschiert, weil die Elektronik es ihr nicht erlaubt?
Spaßfaktor geht vor Design
Über sein Design kann man sicher streiten, das konnte man beim letzten Ford Scorpio oder beim Citroen C6 auch. Polarisieren ist gut. Und dem 300C merkt man im Kampf mit den G-Kräften die ferrarigleiche Hingabe der Konstrukteure an, ein Auto zu bauen, was nur aus einem einzigen Grund existiert: Dem Fahrer viel Spaß zu machen. 330kg Zuladung reichen gerade mal für Fahrer, Beifahrer und Subwoofer. Unter 14 Litern Super geht nichts, eher sind es 20, weil das „kurz mal durchtreten“ so einen wahnsinnigen Spaß macht. Aber Leute, es ist ein Sechs Liter HEMI! PS sind gut. Noch mehr PS sind besser. Dagegen ist kein normaler, autobegeisterter Mensch immun.
Autor: Jens Tanz – Sandmann
Chrysler 300C SRT8
Baujahr: 2007 (Mod. 2008)
Motor: V8 HEMI
Hubraum: 6.063 ccm ( cui)
Leistung: 317 KW (430 PS) bei 5400/min
Max. Drehmoment: 569 NM bei 4.600/min
Getriebe: 5-Gang Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 5015/1818/1462mm
Leergewicht: 2.035 kg
Beschleunigung: 0-100 in 5,4 s
Top Speed: 265 km/h
Wert: ca 20.000 Euro